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   S J Pedde Canada   Alma Pedde (1914 - 2002) Life Story

Alma Pedde

My mother, Alma Pedde, wrote her life story at my request.  I didn't want future generations to forget about her, the strength of her character and her value as a loving mother to her children.  The story is in German, her mother tongue.  Some day, given some time to concentrate, I hope to translate her writings into English.  If you can't read German, a brief synopsis of her history can be read by clicking here.  Alma died on July 28th, 2002, ten days after her 88th birthday, at Northland Manor, Port Colborne, Ontario, Canada.


 
 ,,Erinnerungen aus meinem Leben“ wurden geschrieben zur Ehre meines Heilandes Jesus Christus der mich gerettet, geführt, getragen und bewahrt hat bis ins Alter. Zum Andenken an meine zwei Kinder, Albert und Erwin, die auf der Flucht vor den Russen, im zweiten Weltkrieg, gestorben sind. Der Herr nahm sie zu sich aus den Wirren des Krieges. ,,Lasset die Kindlein zu mir kommen und wehret ihnen nicht, denn sollcher is das Reich Gottes.

Alma Pedde,  1988

Erinnerungen aus meinem Leben

In stillen Stunden gehen meine Gedanken oft sehr weit zurück in die Vergangenheit. Sogar bis in die Kindheit. Es ist doch etwas Wunderbares so ein Gedächtnis, das Gott einem Menschen gegeben hat. Man kann sich an schöne Erlebnisse erinnern, an die man noch heute gerne denkt, aber auch an solche die man lieber vergessen möchte. Doch ich muß sagen: In allen Stürmen meines Lebens war der Herr mit mir, mit Trost und Hilfe. Er sagte ja, ich will dich nicht verlassen noch versäumen. Und das habe ich oft erfahren.
 
Ich wurde zwei Wochen vor dem ersten Weltkrieg, am 17 Juli 1914, in Kempa Kikolska, Polen, geboren. Polen gehörte damals zu Rußland. Und weil die Russen mit Deutschland Krieg führten, wurden alle Deutschen aus Polen, so auch meine Eltern, nach Rußland verwiesen, bis der Krieg vorbei war. Ich habe ja nichts davon gemerkt, denn ich war noch ein Baby. Ich erinnere mich aber, wie ich in Charkow, mit einem kleinen russischen Mädchen in meinem Alter, russische Lieder sang.
 
Mit meinem Großvater Daniel Schmigelski, der bei uns wohnte, habe ich Wasser geholt. Er mußte jedes mal einige Kopeken bezahlen. Es war eine Pumpe in der Stadt von wo die Nachbarschaft ihr Wasser holen mußte. Mein Großvater hatte eine Trage, aus Holz gemacht, die er über die Schultern legte, daran hingen zwei Ketten an welchen er die Eimer trug. Mit den Händen hielt er die Eimer fest und so konnte er das Wasser leichter tragen. Mein Vater besorgte mir auch eine kleine Trage und zwei Eimerchen, in welche der Großvater etwas Wasser goß und so half ich ihm immer Wasser holen.  
 
Ich muß wohl 3 1/2 Jahre alt gewesen sein, da ging meine Mutter mit mir spazieren. Es war Winter und ich schaute den Kindern zu wie sie mit den Schlitten den Cholodna Gora, (kalter Berg) so hieß der Berg in Charkow, herab sausten. Einmal, es war im Sommer, ich vielleicht vier Jahre alt, gingen wir spazieren. Ich, im weißen Kleidchen mit weißen Strümpfen, hüpfte fröhlich zwischen meinen Eltern dahin, die mich an den Händen hielten. Ich stolperte, fiel auf die Knie und meine weißen Strümpfe waren schmutzig. Ich erinnere mich auch, daß ich weißen Honig aß, welchen meine Kusiene aus der Fabrick brachte in welcher sie arbeitete. Es muß wohl Kunsthonig gewesen sein.
 
1918 war der Krieg vorbei und wir durften wieder nach hause ziehen. Es war eine lange Reise mit dem Zug. Oft hielt der Zug auf freiem Felde. Es war im Sommer, und wir Kinder durften aussteigen und Blumen pflücken. Ich war vier Jahre alt. Dann kamen wir nach Bialystock in Polen an. Wir wurden alle geimpft. Von dort fuhren wir zu unserem Heimatdorf und ich weiß noch, daß wir bei meinem Onkel Michael Schmigelski wohnen mußten, weil unser Haus, im Kriege, abgebrannt war. Vater hat dann von dem Mauerwerk, des alten Hauses, ein Nothäuschen gebaut. Dann kaufte er eine Kuh welche ich hüten mußte. So kam auch die Zeit wo ich zur Schule ging.  Ich lernte gut, ging aber trotzdem nicht gerne zur Schule.
 
Mit 14 Jahren ging ich in die Lehre und habe nähen gelernt. Habe jedoch diesen Beruf micht ausgeübt, denn im Dorf gab es nicht viel zu nähen. Nachdem ich geheiratet hatte, war auch keine Zeit zum nähen, denn auf dem Lande ist ohne dies genug zu tun.
 
Als ich zwölf Jahre alt war kaufte mein Vater mir eine Zitter, da habe ich viel gesungen und gespielt. Mit sechzehn Jahren bekam ich eine Gittarre, da war meine Freude besonders groß. Habe in den Versammlungen gesungen und gespielt. Ich weihte mein Leben dem Heiland mit vierzehn Jahren, und wurde bald danach getauft.
 
In meinen jungen Jahren hatte ich öfter merkwürdige Träume, welche sich nach einiger Zeit erfüllten. Diese Gabe habe ich  bis heute. Manchmal ist es eine Warnung, manchmal eine Voraussagung die sich früher oder später erfüllt. Oft verstehe ich die Bedeutung nicht, aber ich bete ernstlich darüber und ich befehle alles dem Herrn in seine Hände. Und ich glaube, daß der Herr immer das Schlimmste abwendet. Ein Traum, den ich kurz vor dem zweiten Weltkrieg hatte, geht mit mir durchs ganze Leben. Hätte ich damals den Herrn besser gekannt, und ernster im Glauben an seine Hilfe gebetet, so hätte er vielleicht manches anders geführt. Aber er half mir tragen. Anfang des Krieges habe ich die Bedeutung meines Traumes erlebt.

Am 4. Juli, 1937 habe ich geheiratet. Ein junger Mensh hat große Pläne und ein hohes Ziel wenn er heiratet. Das war auch bei mir der Fall. Wir bauten uns ein kleines Haus, und richteten uns ein so gut es ging.  Das war in Stare Grabie, Kr. Radzymin in Polen. Da wurde auch Edgar geboren am 3 August 1938.  Da er aber krank war, starb er nach sieben Wochen.  Unsere große Pläne gingen auch alle bald in den Wind. Nachdem wir zwei Jahre verheiratet waren, und acht Monate in dem neuen Haus wohnten, brach der zweite Weltkrieg aus. Als die deutsche Wehrmacht Polen eingenommen hatte, wurden alle Deutschen, so mit auch wir umgesiedelt nach Westpreußen. Alles, was wir nicht auf den Pferdewagen laden konnten, blieb zurück. Nur zwei Kühe führten wir am Strick mit. Futter für die Kühe und das Pferd mußten wir unterwegs finden. Die Milch, die wir selbst nicht verbrauchten, verkauften wir Anderen die keine Milch hatten, für das Geld konnten wir das Allernätigste kaufen. In mancher Stadt bekamen wir auch eine Suppe die man für die Umsiedler zubereitet hatte. Geschlafen haben wir draußen beim Wagen. Nach  etwa  neun  Wochen Strapatzen, wurden wir auf polnische Höfe als Treuhänder gesetst. Wir mußten die Wirtschaften verwalten, und ein bestimmtes Zoll an Getreide, Kartoffeln, Schweinen und Milch abliefern. Als die Russen die deutsche Wehrmacht zurück geschlagen haben, mußten wir flüchten.
 
In Westpreußen wurden uns zwei Kinder geboren, Albert in Neuhof, Kreis Briesen. Erwin in Schloß Golau, Kreis Briesen.
 
Als die Russen näher kamen, war es sehr furchterregend. Zuerst kam das deutsche Militär in unseren Ort. Die deutschen Soldaten waren froh, daß sie bei deutschen Leuten Quartier bekamen wenn sie nicht an der Front sein, oder Schützengräben graben, mußten. Einige Soldaten waren bei uns einquartiert. Darunter war ein Soldat von 18 Jahren. Als sie Nachts im guten Schlaf waren, kam plötzlich Befehl daß sie sofort in ihre Stellung gehen sollen. Der junge Soldat weinte so jämmerlich, daß er mir leid tat. Am liebsten hätte ich ihn versteckt damit er nicht an die Front gehen brauchte. Aber damit hätte man sich strafbar gemacht.
 
Dann fingen die Flüchtlinge an zu kommen und durchzuziehen. Meine Eltern waren schon geflüchtet und wohnten bei uns. Einige Bekannten hielten sich bei uns einige Tage auf. Dann kriegten auch wir Befehl zu flüchten. Die Stadt Golub und alle Straßen waren voller Menschen. Deutsches Militär und Flüchtlinge zogen bei uns durch. Und so machten wir uns auch auf die Reise.  Wir wollten zuerst nach Bromberg ziehen weil wir dort Bekannte hatten. Weil wir zwei kleine Kinder hatten verabredeten wir, daß ich mit den Kindern mit dem Zug fahren sollte um schneller hinzukommen. Nach Bromberg hatten wir schon drei Säcke voll Kleider, Schuhe, Decken und manches andere geschickt, was alles verloren ging. Denn die Leute von dort mußten auch flüchten und wir selbst kamen auch nicht mehr hin.
 
Flucht vor den Russen im Januar 1945.

Gott sah meine Not.  Ich saß auf dem Bahnhof in  Schloß Golau, Kreis Briesen in Westpreußen. Bei mir hatte ich drei Kinder. Wanda 13, Albert 3 Jahre, Erwin 9 Monate alt. Wir warteten auf einen Zug der uns Flüchtlinge in Sicherheit vor den Russen bringen sollte. Es warteten außer uns andere Flüchtlinge. Meistens alte Leute und Frauen mit Kindern. Da kam ein Politischer in Uniform herein und sagte:  “Es kann ja sein daß noch ein Zug kommt, es ist aber auch möglich daß keiner mehr kommt. Es ist einem jeden überlassen was er tun will. Wer will kann hier noch warten.  Wer will kann nach hause gehen, wer will kann nach Schönsee, etwa 10 Kilometer, zu fuß gehen. Damit verließ er uns. Frauen brachen in weinen aus. Ein jeder war bestürzt. Was solten wir machen? Papa und meine Eltern waren in der Nacht zuvor, mit Pferde und Wagen, geflüchtet. Ich konnte mit den kleinen Kindern, in Frost und Schnee, nicht soweit gehen. Hatte beinah den Entschluß gefaßt nach hause zu gehen. Das waren nur 5 Minuten zu Fuß.  Meine Schwägerin Frieda, mit ihrer 7 jährigen Tochter Inge, weinte auch. Aber ehe ich etwas unternahm betete ich innerlich zum Herrn. Er hörte mich und gab mir die Gewißheit, daß noch ein Zug kommt. Ich dankte Ihm, und war getröstet. In einer Stunde war ein Güterzug da. Wir stiegen ein und fielen nicht in der Russen Hände.
 
Wir hatten, zu hause, vereinbart, daß wir uns in Bromberg, bei unseren Verwandten, treffen wollten. Als wir nun eine Strecke gefahren waren hielt der Zug. Jemand machte die Tür auf und rief: Hier ist Bromberg! (Ob es vielleicht ein böser Geist war, der uns ins Verderben schicken wolte? Ich weiß es nicht.) Wir stiegen natürlich aus, denn wir wollten uns doch mit den unsrigen treffen. Wir sahen aber weiter nichts als nur Schnee, und ein Stück weiter ein Bahnwärter-Häuschen.
 
Wir gingen dahin. Der Mann, der da war, sagte: Bis Bromberg sind es noch 3 Kilometer. Was nun tun? Es war Nacht, tiefer Schnee und die Kinder weinten vor Hunger und Kälte. Ich zog Albert Schuhe und Strümpfe aus und rieb seine Füße mit Schnee warm. Aber sie waren schon angefroren und mußten nachher behandelt werden. Dann machte ich in dem Häuschen Milch warm, und fütterte die Kinder. Was sollten wir aber jetzt machen? Ich beschloß Frieda bei den Kindern zu laßen, und zu Fuß gehen die Verwandten aufzusuchen. Als ich ein Stückchen gegangen war krachte es und wurde ganz hell. Die Russen waren nicht mehr weit. Ich stand eine Weile und überlegte und ging wieder los. Da krachte es wieder. Da konnte ich nicht  weiter gehen. Ich fürchtete, ich könnte die Kinder nie wieder sehen wenn ich weiterging.  So kehrte ich wieder zurück, um bei den Kindern zu bleiben. Als ich zurück kam, kam eine Frau vom Zug die ich kannte, Wasser zu holen. Und ich glaube, daß Gott diese Frau geschickt hat.  Vielleicht war es auch ein Engel in Gestalt dieser Frau.  Ich glaube es.  Was wäre aus uns geworden wenn sie nicht gekommen wäre? Als ich sah daß der Zug noch steht, gingen wir sofort wieder zum Zug, und brachten die Kinder in den Zug. Frieda und ich gingen zurück noch einige Sachen zu holen die wir hatten stehen laßen. Aber als wir dann zum Zug kamen, war er schon im gehen. Wir konnten nicht mehr in den Wagen zu den Kindern steigen.
 
Der Zug ging rückwärts und wir wollten dann in den vorderen Wagen, wo der Lokomotivführer und zwei politische Männer waren, einsteigen. Ein Politischer machte die Tür auf, ich stieg auf die Treppe und hielt mich an der Tür  fest und wollte hinein, er aber schrie: schmeißen sie den Koffer, und ließ mich nicht eher rein bis ich den Koffer geschmissen hatte. Und als Frieda ihre Sachen geschmissen hatte, durfte sie auch einsteigen. Wir konnten vor Schrecken und Angst nights sagen, aber wir dachten an die Angst unserer Kinder. Als der Zug wieder hielt sagten wir den Männern, wir möchten nun in den andern Wagen, zu unseren Kindern gehen. Wir durften aber nicht außteigen. Und als ich doch darum bat, schrie der eine Politische mich an und sagte: Frau seien sie ruhig oder ich schieße sie herunter. Nachher sprach ich mit der Frau des einen Politischen sie soll doch mit ihrem Mann sprechen, denn die Kinder sind allein und fürchten sich. Sie sagte mir, daß sie auch nichts machen kann. So mußten wir warten bis man uns die Erlaubnis gab auszusteigen. Und das war wohl schon im Morgengrauen. Nachher hörten wir, daß es ein Zug war mit Munition. Vielleicht dachten sie, daß wir feindliche Frauen waren und Sprengstoff in unserem Gepäck hatten. Deswegen durften wir es nicht in den Zug nehmen.
 
In dem Koffer war Kleidung für die Kinder, Addressen von Angehörigen, meine Uhr und manches andere, des ich mich nicht mehr erinnern kann. Nach 3 Tagen kamen wir in eine Stadt in Deutschland, den Namen habe ich schon vergessen. Da brachte man uns in eine Schule wo wir zwölf Tage auf dem Fußboden, auf Stroh, lagen. Wir bekamen dort Essen und eine Krankenschwester hat auch Albert seine Füße behandelt. Dann hat man uns mit Pferdewagen bei Nebelregen weiter transportiert. Wir fuhren vormittags los und kamen abends an. Man gab einem jeden von uns eine Tasse Bulionsuppe als Mahlzeit. Wie wir Geschlafen haben weiß ich nicht mehr.
 
Den nächsten Tag gings wieder mit einem Güterzug weiter. Die Kinder waren hungrig, und wie sollte man ein kleines Kind waschen oder trocken machen in sollcher Kälte? Da wurden viele Kinder in diesem Flüchtlingstransport krank. Manche kriegten die Masern. Wir sollten auf Güter und Dörfer untergebracht werden. Als aber die Politischen hörten, daß schon so viele Kinder krank sind, meldeten sie sie in einer Kinderklinik an.  Der Zug ging eine Strecke zurück, fuhr auf ein anderes Geleise und so ging es nach Graal Müritz bei Rostock in Mecklenburg. Als wir dort ankamen war es wieder Nacht. Pferdewagen warteten auf uns. Die Kinder wurden verladen und zur Klinik gebracht. Die Frauen kamen in ein anderes Gebäude und die Männer in ein drittes. Jetzt waren wir unsere Kinder los.
 
Am nächsten Morgen gingen wir die Klinik suchen. Als ich hinkam, hatte eine Schwester den Erwin auf dem Schoß, nur in eine kleine Decke gewickelt und hat seine Fingernägel sauber gemacht. Eine andere Frau, die früher dort angekommen war, hat den Erwin draußen, im Kinderwagen, angetroffen und so hat daß Kind die Nacht über draußen in der Kälte gestanden. Man hat scheinbar vergessen ihn reinzunehmen. Er bekam dann Lungenentzündung.  Nachdem sie ihm Senfumschläge gemacht hatten ging es ihm besser. Dann nahm ihn eine Schwester und ging mit ihm spazieren. Die Luft war kalt und zu scharf für das kranke Kind und so starb es kurz darauf nachdem sie ihn unter der Sauerstoffhaube gehalten hatten.
 
Albert hatte die Masern bekommen, wie viele andere Kinder in dem Transport. Und wer von den Kindern die Masern noch nicht hatte wurde geimpft damit es sie kriegen sollte. Man sagte uns, wenn sie geimpft werden, kriegen sie sie nie wieder. Aber anstatt gesund zu werden, wurden die Gesunden auch krank und starben. Albert hat an großem Heimweh gelitten, bekam dann noch Gehirnhaut-Entzündung. Sie legten ihn in ein Einzelzimmer. Ich durfte nicht reingehen, konnte  nur von draußen durchs Fenster ihn sehen. Er lag da stille im Bett, wahrscheinlich immer unter Betäubung, bis er starb. Es war für mich sehr schwer die Kinder so leiden zu sehen. Ich  konnte nicht anders als den Herrn bitten sie zu sich zu nehmen.  Dort haben sie nicht mehr gehungert auch nicht gefroren. Und sind auch nicht mehr krank geworden. Aber ich war sehr einsam und verlaßen, und habe die Nächte mit viel Weinen und wenig Schlaf verbracht. Wäre Gott nicht mein Trost und meine Stärke gewesen, ich hätte es nicht ertragen können.
 
Den 9. Januar, 1986
 
Heute hörte ich wieder den Wind in den Tannen zu Graal Müritz sausen.  Ein schauriger Ton, den ich 1945 immer hörte wenn ich zur Klinik ging um zu sehen wie es den Kindern geht. Man kann wohl diese Angst und Schrecken sein Leben lang nicht vergessen. Wie oft raubt die Erinnerung mir den Schlaf, wenn ich zurück denke. Nur durch den Aufblick zum Herrn und im Gebet bekomme ich wieder Ruhe. Auch weil ich weiß, daß die Kinder beim Herrn sind, und es jetzt gut haben, ist mein Trost. Albert war 3 Jahre und 2 Monate alt da er starb. Erwin war 10 Monate alt. Beide sind begraben auf dem Friedhof zu Gral Müritz. Eine Leichenfrau hat sie eingesargt. Ein lutherischer Pastor hat die Beerdigunsfeier durchgeführt.
 
Nachdem nun alle kranken Kinder gestorben waren, wurden alle Flüchtlinge, von dem Transport, auf dem Lande untergebracht.  Frieda und ich, mit unseren Töchtern, kamen auf das Gut Fahrenholz, wo auch noch andere Frauen mit ihren Kindern hinkamen. Wir bekamen einzelne Zimmer und haben in einer gemeinsamen Küche gekocht.
 
Da hörte ich, daß in Schwerin eine Suchstelle ist da viele Flüchtlinge durchgezogen und aufgezeichnet sind. In der Hoffnung ich könnte dort den Verbleib meiner Angehörigen erfahren, nahm ich mir vor nach Schwerin zu fahren. Obwohl es nach Schwerin nicht weit ist war das Hinkommen doch mit Schwierigkeiten verbunden. Der Zug ging ganz früh morgens. Bis zum Bahnhof waren es 3 Kilometer. Nachts durfte niemand auf der Straße sein und es war, für eine Frau, auch zu gefahrvoll. So nahm ich Wanda mit und wir gingen, zu Fuß, am vorigen Tag, bevor es Abend wurde, zum Bahnhof.  Dort saßen wir die ganze Nacht bis in aller Frühe der Zug ging. Im Wartesaal waren noch einige Männer und ein paar Soldaten. Wir setzten uns an einen Tisch um ein wenig, aufgestützt, zu schlafen. Ehe ich aber einschlief, betete ich in meinem Innern und klagte alle Not dem guten Herrn. Was ich da erlebte werde ich mein Leben lang nicht vergessen, und ich glaube, noch in der Ewigkeit dem Herrn dafür danken. Ich wurde mit sollch einer Freude erfüllt, daß ich dachte ich könnte nicht mehr davon ertragen. Dazu gab mir der Herr die Gewißheit, daß Papa noch lebt und wir uns wiederfinden werden.
 
In Schwerin fand ich, außer einigen Bekannten, keine Anschrift von den Meinigen. Ich mußte noch warten auf die Erfüllung der Verheißung. Und wenn andere Frauen klagten und sich sorgten ob wohl ihre Männer noch lebten oder sie sie wieder sehen werden, konnte ich doch immer wieder dem
Herrn für seine Zusage danken.
 
Eines Tages hörte ich daß die Post wieder geht und man Briefe schreiben kann. Ich hatte all meine Addressen verloren, und konnte an keinen Verwandten oder Bekanten schreiben. So schrieb ich an das rote Kreuz in verschiedenen Städten, und suchte meine Angehörigen. Aber die Russen kamen auch noch näher. Und eines Tages hieß es: Die Russen treffen heute Abend bei uns ein. Es gab eine große Angst und Aufregung bei allen die da waren. Aber Gott sei Dank sie kamen nicht an, und wir hatten die Gelegenheit noch einmal zu flüchten. Eine Familie die an der russischen Grenze in Polen gewohnt hatte, und schon einmal unter die Russen gekommen war, und wieder frei wurde weil die Russen zurück gehen mußten, war dann geflüchtet und wurde auch auf dem Gut Fahrenholz untergebracht.
 
Eines Tages sah ich den Mann auf dem Hof wie er seinen Wagen und die Räder prüfte wie stark sie sind. Ich ging zu ihm und frug ihm ob er noch weiter flüchten will. Er sagte, er will so weit wie möglich fahren um nicht wieder unter die Russen zu kommen. Er ist schon einmal, 8 Monate lang, unter den Russen gewesen. Dann fing er an zu sagen, was Gott durch die Propheten Jesaja und Jeremia geredet hat. Und wie vieles in Erfüllung geht.  Ich frug ihn dann ob er den  Prediger Götze von Polen kennt und er sagte, Ja. Und da wußten wir, daß wir zu derselben Gemeinschaft gehören, wir waren Gotteskinder. Ich erzählte ihm meine Lage und daß wir nicht flüchten konnten.
 
Am nächsten Morgen kam er zu uns und frug wieviel Gepäck wir haben.  Wir zeigten es ihm, und er sagte, er kann es mitnehmen. Und  so hatten wir die Gelegenheit weiter zu ziehen. Er hieß uns dann schnell für die Reise vertig zu machen und beim Bürgermeister abzumelden damit wir auf der nächsten Stelle wieder unsere Lebesnmittel-Karten bekommen können.
 
Diese Familie, fünf Personen, hatte Gott zu uns geschickt als Engel, um uns vor dem Verderben wegzuholen. Und wie die Engel den Lot und seine Familie bei der Hand ergriffen und sie hinausführten so war es auch bei uns. Diese Menschen führten uns vor dem Verderben weg. Gott vergelte es ihnen in Zeit und Ewigkeit.
 
Am Nachmittag desselben Tages gings dann los. Er fuhr so lange und so weit wie es nur möglich war, um den Russen aus dem Wege zu kommen.  Das Pferd mußte ja gefüttert werden und ruhen. Und wir brauchten auch Ruhe und Nahrung. Aber immer wieder hieß es: nur schnell forwärts!
 
Einmal kamen Tiefflieger. Wir hörten sie schon von weitem. Schnell wurde das Pferd vom Wagen gespannt, wir Frauen nahmen nur unsere Handtaschen und flohen alle in den Wald. Als die Flugzeuge vorbei waren gingen wir wieder zum Wagen und fuhren weiter. Die Straßen waren kilometerweit voll Flüchtlinge. Pferdewagen, Auto's, Motorräder, Fahrräder, Fußgänger, Militär und Polizei. Alles war auf der Flucht. Dann kamen wir aus dem Wald auf eine freie Straße wo nur einige Häuser waren. Unser Pferd stand unter einem Baum und wurde gerade gefüttert. Wir Frauen waren in einem Hause um etwas zum essen zu bereiten. Da kamen wieder Tiefflieger und haben die Flüchtlinge beschossen. Einige Verwundete kamen in das Haus, wo wir waren, um die Wunden zu verbinden.
 
Wie viele Tage wir gefahren sind weiß ich nicht mehr. Aber einmal im Morgengrauen brach ein Rad am Wagen zusammen. Es war unweit eines Hauses. Ein paar Soldaten kamen und halfen den Wagen neben das Haus schieben. Nun hatten wir Ruhe auf Gottes Geheiß. Denn wären wir weiter gefahren wären wir vielleicht in ein großes Unglück geraten.
 
Nun ging die Suche nach einem Rad los. Frieda ging jeden Tag, mit dem Mann, in die Stadt ein Rad zu finden und zu bringen. Aber sie fanden keins.  Einmal kamen sie zurück und erzählten, daß die Tiefflieger die Flüchtlinge wieder beschossen haben. Autos waren ausgebrannt und Menschen tot. Ich war mit den Kindern im Haus geblieben, da fiel eine kleine Bombe neben dem Haus und hat ein großes Loch nachgelassen. Die Scheiben flogen aus den Fenstern, aber uns war nichts passiert. Gott hat uns bewahrt.
 
Dann hieß es eines Tages: Die Engländer kommen! Sie wurden begrüßt mit weißen Laken, Tüchern und Lappen jeder größe. Was ein jeder an Weißem aufbringen konnte damit hat er geschwungen und so die Engländer willkommen geheißen. Wir waren so froh, daß wir jetzt unter Schutz waren.  Unser Fuhrmann und Frieda gingen wieder ein Rad zu suchen und sie kamen tatsächlich mit einem Wagenrad zurück.

Nun trieb er wieder zur Weiterfahrt an, denn bis hierher wird der Russe einnehmen, sagte er. Er hatte es schon irgendwo gehört. Wir müssen noch bis hinter Lübeck fahren. So fuhren wir wieder los. Wir kamen aber nicht weit, da sahen wir was vor einigen Tagen geschehen war. Tiefflieger hatten dort ein grausames Werk vollbracht. šberall ausgebrannte Auto's und tote Pferde lagen da. Wäre das Rad an unserem Wagen nicht zerbrochen, wir hätten dort vielleicht auch den Tod gefunden. Gott war uns gnädig und hat uns auch diesmal bewahrt.
 
Nun waren wir an der anderen Seite von Lübeck. Es war spät nachmittag und wir waren alle müde. Wir baten bei einigen Besitzern um Nachtquartier.  Man war ja glücklich wenn man in der Scheune schlafen konnte. Aber überall war alles mit Flüchtlingen belegt. Dann kamen wir zum Marktplatz in Stockelsdorf. Da stand ein Feuerwehrhaus. Wir untersuchten es, legten all Gerät, das auf dem Fußboden lag, auf den Feuerwehrwagen, der an einer Seite stand, holten Stroh von dem Schober der in der Nähe war, und richteten uns ein Quartier ein so gut es ging. In der Nähe war ein Stall, da war auch eine Krippe mit Kleie für die Pferde. Wir nahmen davon und haben Pfannkuchen, für unseren Hunger, gebacken. Wir haben dort mit 9 Personen einige Wochen gelebt. Gekocht haben wir draußen, einige Ziegelsteine aufeinandergelegt, den Topf draufgestelt und mit gesammeltem Holz gebrannt. Was machte es aus wenn es nach Rauch schmeckte. Wir wurden aber satt. Die Lebensmittel waren noch knapp. Wir gingen zu den Bauern und frugen ob wir ein paar Kartoffeln kaufen könnten. Sie sagten, sie haben kaum genug für sich. Das Militär hat schon alles genommen. Da hörten wir, daß jemand ein Erdbeerfeld hat und Pflücker braucht. Wanda ging hin und konnte jeden Nachmittag pflücken. Zuerst kriegte sie ein gutes Mittag und wenn sie vertig war gab man ihr noch Erdbeeren mit. Wir haben uns dann Erdbeersuppe gekocht und für die übrigen konnten wir Brot von anderen Flüchtlingen kriegen. So hat Gott für uns gesorgt.
 
Unser Fuhrmann, Piotr Muczynski, mit Familie zog dann nach Neustadt in Holstein. Frieda und ich mit unseren Mädchen blieben noch in dem Feuerwehrhaus. Die Zeit kam immer näher da ich unbedingt ein Zimmer brauchte, denn ich erwartete ein Kind. Ich suchte darum an, und bekam ein schönes Zimmer bei Frau Malchow in dem Dorf Groß Steinrade. Frieda zog mit anderen Flüchtlingen in eine leere Militärbarake. Nun fing eine normale Lebensweise wieder an. Frau Malchow war eine herzensgute Frau. Sie war zu Wanda und mir wie eine Mutter. Ich durfte aus ihrem Garten Gemüse holen wenn ich kochte, und manches mal schmiß sie auch etwas von ihrem Schinken in meinen Topf. Manchmal haben wir auch an ihrem Tisch mitgegessen. Ich half ihr natürlich auch wo ich konnte. War es beim Gemüse putzen für ihre große Familie, oder Strümpfe stopfen oder stricken. Sie hatte zwei kleine Kinder, zwei Dienstmädchen und zwei männliche Arbeiter. Ihr Mann war vom Militärdienst noch nicht zurück.
 
Nun hatte ich Unterkunft. Aber wie einsam man sein kann wenn man von keinem Angehörigen weiß wo er sich befindet, und dann in meinem Zustand, kann nur der verstehen der in derselben Lage war. Und das waren damals Tausende. Und Abertausende die jetzt durch Krieg und manche andere Katastrofen gehen müssen. Ich saß oft am Fenster und schaute auf die Straße wie die Flüchtlinge vorbeigingen und wünschte einen Bekannten unter ihnen zu sehen. Doch es war vergeblich.
 
Hier wurde Siegfried, mit Hilfe einer Hebamme, am 25. Juli, 1945 geboren. Ich war getröstet über den Verlust der beiden Kinder die gestorben waren, hatte mehr Beschäftigung durch das Baby und weniger Zeit zum nachdenken. Frau Malchow hat mich und das Baby, die ersten paar Tage treulich gepflegt. Aber dann war auch die Zeit da wo der Herr seine Verheißung einlöste. Als Siegfried neun Tage alt war  und wir beide Transportfähig, kam das Ereignis doppelt. Meine Eltern hatten durch eine bekannte Frau meine Anschrift erfahren die sie auf einem Zettel, am Baum in der Stadt angeheftet, gelesen hat. Meine Mutter kam mit dem Pferdewagen uns abzuholen. Papa war unterwegs uns zu suchen durchs Rote Kreuz, und fuhr per Anhalter, oder ging zu Fuß von einer Stadt zur anderen und fand unsere Anschrift in Flensburg. Nun kamen sie zu gleicher Zeit an und am nächsten Tag nahmen sie uns mit in ihr Quartier. Sie wohnten in einem Pferdestall auf dem Heuboden, auf dem Gut Rodenbeck bei Heidmühlen, Kreis Segeberg. Wenn ich jetzt zurückdenke weiß ich, warum wir uns nicht früher zusammenfanden. Es wäre für mich sowie für meine Mutter schwer gewesen als ich zur Entbindung kam. Gott aber sah die Verhältniße und hat alles recht geführt.
 
Als sich die Lage nach dem Kriege ein wenig besserte bekam Papa arbeit und ein Zimmer für uns bei dem Bauern Wittorf in Heidmühlen, der auch eine kleine Mühle hatte. Zuerst hat Papa auf dem Lande gearbeitet, nachher übernahm er die Mühlenarbeit. Der Bauer gab uns auch einen Garten  wo wir Kartoffeln und Gemüse pflanzen konnten.
 
Für den Winter konnten wir bei ihm Kartoffeln kaufen. Nachher bekamen wir eine Wohnung mit 2 Zimmern in demselben Haus, oben. Unten wohnte ein Polizeibeamter mit Frau und zwei Kindern. Wir konnten dort auch einige Hühner halten. Obwohl die Polizei in demselben Haus wohnte als wir, verschwand uns doch mal die beste Henne die wir hatten, auch so manches Ei und Brennholz aus dem Schuppen.
 
Meine Eltern, Rudolph Schulzes, Tante Frieda Schulz mit ihren Kindern: Oswald, Tabea und Edith, Robert Bucholzes und Robert Schulzes, die Eltern von Prediger Arthur Schulz wohnten auch in Heidmuhlen.
 
Die Lebensmittel waren nach dem Kriege noch immer knap. Wir mußten auf Karten einkaufen. Wenn neue Lebensmittel reinkamen kriegten die Flüchtlinge es bald zu wissen, denn einer sagte es dem andern. Den nächsten Morgen stand eine lange Schlange vor den zwei Geschäften die im Dorf waren. Die Frauen planten dann was sie mit dem einen Ei pro Person machen sollten. Eine sagte, sie will mal das Ei gekocht essen. Die zweite sagte, sie will mal eine Torte backen. Und so hatte eine jede eine andere Meinung. Ich liebte nicht so lange schlangestehen, und ging dann einkaufen wenn ich nicht warten mußte. Wenn uns was fehlte, konnte Papa es von dem Mühlenbesitzer kaufen. Papa hat ja selbst Mehl, Schrot, Haferflocken und Gerstengrütze gemacht. So brauchten wir nicht hungern, wenns auch nicht viel Butter oder Fleisch gab. Andere Leute gingen nach der Ernte auf die Felder
Ähren sammeln. Die haben sie ausgerieben und brachten einige Pfund in die Mühle und Papa hat es ihnen zu Mehl gemahlen. Nach der Kartoffelernte haben sie Kartoffeln gestoppelt. Das habe ich auch gemacht.
 
In Heidmühlen hatten wir auch unsere Versammlungen bis zur Auswanderung. Die Einheimischen gingen zu keiner Kirche und kamen auch nicht zu unseren Versammlungen. Es war nur eine einheimische Frau die sich dafür interressierte.
 
In Heidmühlen hatten wir auch einige Kaninchen. Das Futter für sie habe ich im Straßengraben gepflückt und mit dem Kinderwagen nach hause gefahren. Da habe ich mir, bei dem pflücken, die Hand übergriffen. Ich mußte die Hand in der Binde tragen, denn sie schmerzte und war geschwollen. Ein Prediger, namens Siminesko, aus Hamburg, der auch Arzt war, kam nach Heidmühlen Versammlungen zu halten. Als er meine kranke Hand sah frug er mir ob ich glaube, daß Jesus heute noch derselbe ist und heilen tut als damals da er auf Erden wandelte. Ich sagte, Ja. Da hat er für mich gebetet. Die Schmerzen waren gleich weg, und in einer Woche war auch die Geschwulst weg. So gut ist Jesus.
 
Dann fing die Auswanderung an. Zuerst fuhren Robert Schulzes, Eltern von Prediger Schulz, nach Kanada. Dann meine Eltern. Mein Bruder Erwin Schmigelski, war vom Militärdienst zurück gekommen, und wanderte mit den Eltern zugleich aus in dem Jahr 1948. Dann wanderten Rudolf Schulzes aus. Bruno Schmigelski war noch immer in russischer Gefangenschaft. Aber eines Tages kriegten wir Nachricht, daß er in Deutschland im Erholungsheim ist. Papa fuhr gleich hin ihn zu uns zu holen. So wohnte er einige Monate bei uns. Wir reichten dann zusammen für die Auswanderung ein. Wir wurden angenommen, aber Bruno haben sie zurückgestellt weil er bei der deustschen Wehrmacht gewesen war. Die deutsche Auswanderungs Behörde hatte ja nichts zu sagen. Es war die Kanadishe Behörde die ihn nicht annahm. So wanderten wir 1949 alleine aus, und Bruno blieb zurück. Es verging wohl mehr als ein Jahr bis auch er auswandern durfte. Inzwischen sind auch Buchholzes und Frieda Schulz ausgewandert. Wir wohnten vier Jahre in Deutschland.
 
Unser Schiff “Scythiaö verließ Cuxhafen am 9. Juni 1949, und landete in Quebec am 21 Juni 1949. Dann mußten wir die lange Bahnfahrt machen und kamen am 24. Juni 1949, spät abends, in Edmonton an. Meine Mutter und Samuel Schneider mit Frau erwarteten uns am Bahnhof. Sie brachten uns zu meine Eltern nach Freedom, Alberta, wo wir einige Monate wohnten. Das war aber für meine Eltern, sowie auch für uns beschwerlich, denn Papa hatte keine Arbeit. Es kam so, daß wir nach Barrhead zu Leopold Stoiks fuhren, sie ist meine Kusine, und ich sollte da nähen. Die Männer besprachen unsere Lage. Dann wurde ein altes Hühnerhaus auf einen geeigneten Platz gebracht und hergerichtet so, daß wir darin wohnen konnten. Für die Miete und die Milch, die wir bei ihnen bekamen, habe ich für ihre Familie genäht und gestrickt. In der Ernte kriegte Papa Arbeit bei Schneiders für sechs Wochen. Er wurde Sonntag abend abgeholt und Sonnabend spät abends nach hause gebracht. Im Winter hat er nur hier und da ein paar Dollar verdienen können.
 
Am 9. November 1949 wurde Alfred geboren, in Barrhead, im katholischen Krankenhaus. Der Winter war sehr strenge und unsere Wohnung nicht isoliert. Ein Tropfen Wasser auf dem Fußboden fror gleich zu Eis. Die Wände waren bis zur halben Höhe mit Eis befroren. Alfred war sehr erkältet. Wir wußten, daß wir dort nicht noch einen Winter wohnen konnten und versuchten eine andere Wohngelegenheit und Arbeit zu finden. Aber es war vergeblich. Da wir uns auf dem Schiff mit Emil Richters bekannt gemacht hatten, tauschten wir unsere zukünftigen Anschriften gegenseitig aus. Sie fuhren gleich nach Port Colborne zu ihren Verwandten, und wir nach Alberta zu unseren Verwandten. Nach einigen Monaten bekamen wir einen Brief von ihnen. Er hatte Arbeit und sie hatten ihre Reiseschulden schon abgezahlt, hatten die nötigen Möbel und was sie sonst brauchten. Wir schämten uns zu antworten, denn wir hatten nichts als nur eine Nähmaschine für geborgtes Geld gekauft und das Kinderbett. Ich dachte mit Nähen etwas Geld zu verdienen, aber das gelang mir nicht recht. Dann schrieb ich doch zu Richters und  berichtete wie es uns geht.  Kurz darauf kam ein Paket mit Kleidung und ein Brief von ihnen. Sie schrieben Wanda soll kommen, denn die Schuhfabrik braucht Arbeiter und wenns ihr dort gefallen wird, sollten wir nachkommen. Wir hatten nicht recht Lust von den Verwandten wegzugehen und versuchten unser Bestes um dort bleiben zu können. Aber nichts half. So fuhr Papa und Wanda im April 1950 nach Port Colborne.
 
Wanda bekam gleich Arbeit in der Schuhfabrik. Papa konnte keine Arbeit finden. Richters borgten ihm dann einhundert Dollar, damit er uns, mich mit den kleinen Kindern,  nachkommen lassen konnte, und so kamen wir im Mai auch in Port Colborne an. Papa hat nachher sechs Wochen in der Schuhfabrik gearbeitet, zehn Tage auf einer Farm in der  Heuernte. Im August 1950 kriegte er Arbeit in der Maple Leaf Mühle und hat bis Herbst 1960 gearbeitet, bis die Mühle abbrandte. In den zehn Jahren haben wir 800 Dollar Reiseschulden abgegeben, Möbel gekauft und ein kleines Haus auf Carter St. angezahlt. Das Haus haben wir wieder verkauft und ein größeres auf Franklin St. gebaut. Als wir schuldenfrei waren, verlor Papa die Arbeit.  Zu der Zeit konnte man, in Port Colborne, keine Arbeit finden und Papa konnte auch keine schwere Arbeit mehr tun. Wir waren gezwungen das Haus billig zu verkaufen und nach St. Catharines zu ziehen wo er wieder arbeiten konnte. Nach elf Jahren, Dezember 1971, als er im Ruhestand war, zogen wir wieder zurück nach Port Colborne.
 
Die Jahre danach waren für mich wieder schwere Jahre. Es galt viel zu beten um Trost und Kraft zum überwinden und in die Zukunft zu blicken. Als ich einmal so vor Gott auf den Knieen lag und meine Not ihm klagte, sprach Er mich so liebevoll an: “Mein Kind, warum grämst du dich so? Ich habe  etwas für dich bereit darüber du staunen wirst!" Getröstet über  diese Antwort konnte ich Ihm von Herzen danken. Obwohl ich nicht wußte was der Herr mit mir vorhatte, so war ich doch innerlich ruhiger und voller Zuversicht. Als ich 1977 meine Verwandten in Edmonton besuchte, und Erwin und Lilly ihre Silberhochzeit feierten, gab mir der Herr mein erstes Gedicht das ich je geschrieben habe und konnte es bei der Feier vorlesen.
 
Eine Woche später habe ich das zweite Gedicht auf Bruno und Lydia's Silberhochzeit aufgesagt. Seit der Zeit habe ich viele Gedichte geschrieben. So manch einer hat bezeugt, daß die Gedichte ihm zum Segen sind. Jetzt weiß ich was der Herr für mich bereit hatte. Und er hat es mir gegeben. Und staunend kann ich Ihm jetzt danken.
 
Der Herr hat verheißen: Ich will dich nicht verlassen noch versäumen!  Bis hierher hat der Herr geholfen. Er wird mir auch weiter  helfen.  Und wenn die Not am   größten, ist Gottes Hilfe am nächsten. Meine Jahre sind vorgeschritten. Ich schaue aus nach meiner ewigen Heimat. Nach dem Lande wo weder Krieg noch Not, weder Krankheit noch Tod, noch irgendwelche Schwierigkeiten sein werden. Ich sehne mich bei dem Herrn zu sein, Ihn zu sehen und Ihm zu danken für alles Gute das Er an mir getan hat. Denn was hätte ich ohne Ihn gemacht. Er hat mich erlöst und mit Gott versöhnt. Ich darf getrost von dieser Erde scheiden, denn Jesus geht mit mir und führt mich in die Wohnung die Er für mich bereitet hat. Gelobt sei Er in Ewigkeit.  Meine Eltern, fünf Geschwister und drei Kinder warten schon auf mich. Der Herr möge auch die anderen alle hinzuführen. Dort werden wir alle in bester Harmonie leben.
 

Weihnachten 1995

Es war nun wieder einmal ein Fest an dem wir alle, als Familie zusammen sein konnten. Obwohl Papa schon seit dem 10. November in Northland Manor war, konnten wir ihn doch für 2 Tage nach Hause holen und wir haben uns gefreut, daß er mit uns allen zusammen war.  Worüber auch er sich freute.  Das kleine Haus war voll.  Die jungen Leute haben gekocht, Tische gedeckt und aufgetragen.  Wir alten beide ließen uns bedienen.  Früher dachte ich immer, ich muß alles selbst machen.  Jetzt da ich alt und schwach bin, laß ich schon gerne die andern arbeiten.  Alles hat gut geschmeckt und so wurde auch wieder abgeräumt und das Geschirr gewaschen.  Die Kleinen hatten auch ihre Beschäftigung.    

Durch unsere Altersbeschwerden, Krankeiten und manche andere Sorgen schienen uns die Weihnachtsfeiertage garnicht so feierlich zu sein als früher.  Aber als unser Heiland auf diese Erde kam schien es für Marie und Joseph auch gar nicht so feierlich zu sein, denn er wurde ja im Stalle geboren und in eine Krippe gelegt.  Niedriger konnte es ja garnicht sein.  Aber ich glaube, Maria hat sich immer wieder daran erinnert was der Engel ihr verheißen hat.  Und Joseph wußte was der Engel ihm im Traum gesagt hat. Und dann kamen die Hirten das Kind anzubeten und verkündigten was die Engel ihnen verkündigt hatten.  Das war für Maria und Joseph eine Bestätigung,  daß dies Kind der wahre Erlöser der Menschheit ist.  Wie werden sie dann Gott dem Vater gedankt haben!

Nun war Weihnachten vorbei und ein jeder mußte wieder nach Hause und an seine Arbeit gehen.  Und Papa wurde auch wieder ins Pflegeheim gebracht.  Ich versuche ihn so oft als möglich zu besuchen.  Aber alles ist so beschwerlich.  Es ist kein normales Leben mehr.  Wie es weiter gehen wird weiß Gott alleine.  Wohl dem, der schon alles überstanden hat und beim Herrn ist.


Das Jahr 1995 geht heute zu Ende

Wie viele Erinnerungen aus der letzten Zeit kommen da in den Sinn.  Wie viele Schwierigkeiten waren da zu überwinden.  Nur mit deiner Hilfe, o Herr, habe ich wieder einen Meilenstein erreicht.
   
Der Weg ist steinig, der Hindernisse so viele, wann bin ich denn endlich am Ziel? Hättest du, Herr, mir nicht geholfen und mich getragen, ich war schon oft am verzagen.  Noch kann ich die Hindernisse, am Wege, bis zum nächsten Meilenstein nicht sehen.  Würde ich sie jetzt schon sehen so würde ich vielleicht erschrecken. Aber wenn sie da sind darf ich nicht versagen.  Ich muß weiter gehen.  Ich muß voran eilen ich muß überwinden, sonst komme ich nie ans Ziel.  Herr du hast Kraft genug für dein Kind jede Schwierigkeit zu überwinden.
   
Hilf mir auch im nächsten Jahr in jeder schwierigen Lage auf dich zu blicken und mit deiner Hilfe zu rechnen.  Du verläßt die deinen nicht.  Du sagst: Rufe mich an in der Not, so will ich dich erretten und du sollst mich preisen.  So rufe ich dich auch um Hilfe an und preise dich und danke dir auch für alles das du an mir getan und mir geholfen hast.  Es kommt ja ein Tag an dem du sagen wirst: Jetzt ist es genug.  Gehe ein zur ewigen Ruhe.  Wie herrlich wird es sein zu wissen, das Alte ist vergangen, siehe es ist alles neu geworden.  O wie wird die Ruhe bei dir, o Herr, herrlich und erquickend sein. Ich sehne mich nach der himmlischen Ruhe.  Ich sehne mich danach meinen Heiland zu sehen.


Der Umzug von Barrhead Alberta, nach Port Colborne, Ontario im Frühling 1950


Wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir.
   
Wir sind schon oft umgezogen.  Als kleine Kinder mußten wir schom mit unseren Eltern zusammen, im ersten Weltkrieg, umziehen, und zwar in ein anderes Land.  Nach Rußland.  Nach dem Kriege durften wir wieder zurück in unsere Heimat nach Polen kommen.  Im zweiten Weltkrieg mußten wir alles verlassen und in eine andere Gegend ziehen, bis der Feind näher kam und wir gezwungen wurden in ein anderes Land zu fliehen.  Nach Deutschland.  Dann wanderten wir aus nach eigener Wahl nach Kanada in den Westen und hofften in Ruhe und Frieden eine neue Heimat zu finden.  Aber wie enttäuscht waren wir als keine Arbeit zu finden war und mit einer Wohnung war es das gleiche.  So waren wir gezwungen in den Osten Kanada’s zu ziehen.  Und wir zogen nach Port Colborne, in Ontario.
   
Der Anfang war ja auch hier sehr schwer.  Wir waren auch hier schon am verzagen, als Papa keine Arbeit fand, und wir fanden auch keine geeignete Wohnung.  Es schien so als ob Gott unsere Gebete garnicht erhören wollte.  Doch dann kam die Arbeit und den nächste Tag die Wohnung.  Wenn Gott hilft dann hilft er doppelt.  Und wir konnten Ihm nun von Herzen danken.
   
Aber eigentlich wollte ich die Reise hierher beschreiben.  Papa und Wanda fuhren zuerst hierher, um zu sehen wie die Verhältnisse hier sind.  Ich mit den beiden kleinen Kindern, Siegfried 4 Jahre und 9 Monate, Alfred 5 Monate alt, sollte nachkommen sobald sie mir Geld, für die Reise schicken würden.  Wanda kriegte Arbeit in der Schuhfabrik, aber Papa fand lange keine Arbeit.  Dann hat er Geld geborgt und es mir geschickt.    
   
Einen Monat später mußte ich alleine, wieder, alles in die Einwanderungskisten packen, zum Bahnhof bringen lassen ( Damals war noch ein Güterbahnhof in Barrhead), zusehen wie ich mit den Kindern nach Edmonton kam, um dann mit dem Personenzug nach Toronto zu fahren.  Mit zwei kleinen Kindern auf solch eine Weite Reise sich alleine zu begeben war nicht leicht.  Wir mußten 3 Tage und 3 Nächte mit dem Zug fahren.  Weil aber im Wagen Schlafgelegenheit war, konnten wir im Bett gut schlafen.  Nicht wie auf der Flucht, im Kriege 1945, im Viehwagen sitzen, frieren und hungern.  1950 war es auch noch nicht so schlimmm wie jetzt, wo man fürchten muß, daß einem die Kinder gestohlen werden.  Einmal wollte ich doch gerne zum Speisewagen gehen, um etwas gekochtes essen zu können.  Das Baby konnte ja noch nicht essen.  Da war eine sehr freundliche englische Frau, die sagte, ich soll nur gehen, und sie wird auf das Baby aufpassen.  So ging ich mit Siegfried essen.  Ich konnte den Speisezettel nicht lesen, auch nicht sagen was wir essen wollten.  Da war ein junger Kelner der ein furchtbar verdrehtes Deutsch sprach.  Endlich haben sie uns was auf die Teller gelegt, darunter eine große gedämpfte Zwiebel die ich überhaupt nicht essen konnte.  Dann ließ ich dem Siegfried essen was er wollte, aus dem Rest habe ich gegessen was ich essen konnte und der Rest blieb stehen.  Ich ging nicht wieder essen.
   
Nun so weit ging alles ziemlich gut.  Endlich war der Zug am Ziel und wir mußten aussteigen und mit dem Bus weiterfahren.  Ich sagte dem Busfahrer beim einsteigen: Port Colborne Schuhfaktorie.  Als er auf der Ecke Main und King St. anhielt, rief er Schuhfaktorie, und wir stiegen aus.  Dann stand ich da und wunderte wo wohl die Schuhfabrik sein sollte.  Ich sah aber keine.  In der Nähe sollten doch Richters wohnen.  Auf einmal seh ich Emil Richter und Papa bei einem alten Schuppen ankommen.
   
Ich sagte zum Siegfried: lauf nur schnell hin ehe sie in die Tür gehen.  Er lief durch das hohe Gras und Unkraut und kriegte den Papa doch zu halten.  Ich stand mit dem Baby auf dem Arm und das Gepäck neben mir.  Als Papa kam brachte er uns dann zu Richters ihre Wohnung.  Frau Richter machte für uns Essen und nachher gingen wir zu Ost’s wo Papa und Wanda wohnten.
   
Wenn ich an der Stelle, wo die alte Schuhfabrik gestanden hat vorbeifahre, muß ich oft dran denken wie Gott alles geführt hat, daß ich nicht lange herumsuchen mußte wo ich hin wollte.  Ich konnte doch nicht englisch sprechen.  Er hat mich wieder einmal überrascht mit Seiner Güte.  Dafür war ich aber froh und dankbar.
   
Als ich da auf der Ecke so stand und herumschaute wo ich nun hin soll kam Frau Ivans und fing an zu sprechen und zu fragen.  Ich verstand ihr ja nicht und konnte nichts sagen.  Ich hab sie garnicht beachtet.  Aber als Papa kam, dann gingen wir gleich los. Am nächsten Sonntag sah ich Frau Ivans dann in der englischen Kirche.
   
Am Anfang gingen wir in die englische Kirche.  Da lernten wir Heinrich Bierer’s kennen und auch Fry’s.  Bierer’s nahmen uns mit zum Mittagessen und so wurden wir Freunde. Da haben wir uns dann Sonntag nachmittags gegenseitig besucht.  Einen Sonntag bei ihnen, den nächsten bei uns.  Weil wir ja noch nicht englisch verstanden, haben wir uns in unserer deutschen Sprache erbaut, gesungen, die Bibel gelesen und gebetet. Bis dann mehr deutsche Einwanderer zuzogen, da entstand eine deutsche Gemeinde durch Prediger Arthur Schulz, als Pastor.

    Den 8. Januar, 1996.

    (C) Alma Pedde 2002, Port Colborne, Ontario
, Canada

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